Sep 16, 2021 08:14 CET

Nach Abschluss der Sure 48, Sure Fath, öffnen wir nun den Koran bei der Sure 49. Diese Sure heißt Hudschurat, was „die Gemächer“ bedeutet. In dieser Sure stehen wichtige Sittenregeln, durch deren Beachtung die Freundschaft  und Brüderlichkeit unter den Mitgliedern der Gesellschaft gestärkt werden. Ihre Nichtbeachtung führt jedoch zu Feindseligkeiten, Misstrauen und Spaltung.  Daher kann diese Sure auch als die Sure für islamische Moral betrachtet werden.

(49: 1- 5)  

 

 

Die Verlesung der Sure beginnt wie alle anderen Suren, mit Ausnahme der Sure 9, wieder mit den Worten

 

bismillahir rahman-ir rahim

Im Namen Gottes des Allerbarmers, des Gütigen

Danach heißt es im Vers 1:

 

 

يَا أَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُوا لَا تُقَدِّمُوا بَيْنَ يَدَيِ اللَّهِ وَرَسُولِهِ ۖ وَاتَّقُوا اللَّهَ ۚ إِنَّ اللَّهَ سَمِيعٌ عَلِيمٌ ‎


„O die ihr glaubt, kommt nicht Allah und Seinem Gesandten (in irgendeiner Sache) zuvor und fürchtet (Ungehorsam gegenüber) Allah. Gewiss, Allah ist Allhörend und Allwissend.“ (49: 1)

                                             

Dieser Vers richtet sich an die Gläubigen. Aus ihm geht hervor, dass wahrer Glaube die Ergebenheit gegenüber Gottes Befehlen und den Anweisungen des Propheten erfordert und zugleich voraussetzt, dass niemand versucht, Gott und dem Propheten vorauszugehen. Dies gilt besonders in Bezug auf soziale Angelegenheiten, bei denen alle dem islamischen Anführer folgen sollen. Wenn jemand ihm vorauseilen will, so wirkt es sich störend auf die Ordnung in der Gesellschaft aus und wird  zur Folge haben, dass sich die Menschen spalten und auseinandergehen.

Einige Muslime, die über die Stränge schlagen, erwarten, dass der Vorsteher der islamischen Gesellschaft gemäß ihren Wünschen, Tendenzen und Überzeugungen Maßnahmen ergreift oder mit einigen Personen oder Gruppen hart umgeht oder auch einige Dinge unterbindet. Aber das Oberhaupt der Muslime muss aufgrund realistischer Kenntnisse von der Situation und den Zuständen der Gesellschaft und unter Beachtung des allgemeinen Wohles Entscheidungen treffen. Anderes darf man nicht von ihm erwarten.

Wir können dazu Folgendes sagen:

Erstens:  Wenn jemand einige Dinge, die Gott erlaubt hat und die Helal sind, für Haram, also verboten, betrachtet, oder umgekehrt einige Dinge, die Gott verboten hat, als erlaubt ansieht, so ist er auf gewisse Weise Gott und dem Propheten vorausgeeilt.

Zweitens: Die Gesetze in einer islamischen Gesellschaft müssen auf dem Buch Gottes und der Sunna – der Vorgehensweise des Propheten -  basieren. Stellt eine Regierung  Gesetze auf, die gegen den Koran und die Sunna verstoßen, bedeutet dies, dass sie Gott und dem Propheten zuvorgekommen ist.

Drittens: Jemand, der aufgrund seines persönlichen Geschmackes oder aufgrund sozialer Bräuche die Anweisung Gottes und des Propheten hinter sich lässt, hat sich in Wahrheit vom Glauben und der Gottesfürchtigkeit entfernt.

 

Wir lesen bei den Versen 2 und 3 der Sure Hudschurat, Sure 49, weiter:

 

يَا أَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُوا لَا تَرْفَعُوا أَصْوَاتَكُمْ فَوْقَ صَوْتِ النَّبِيِّ وَلَا تَجْهَرُوا لَهُ بِالْقَوْلِ كَجَهْرِ بَعْضِكُمْ لِبَعْضٍ أَن تَحْبَطَ أَعْمَالُكُمْ وَأَنتُمْ لَا تَشْعُرُونَ

„O die ihr glaubt, erhebt nicht eure Stimmen über die Stimme des Propheten (beim Gespräch mit ihm), und sprecht nicht so laut zu ihm, wie ihr laut zueinander sprecht,  damit nicht eure Werke (deswegen) wertlos werden,  ohne dass ihr es merkt.“ (49: 2)

 

إِنَّ الَّذِينَ يَغُضُّونَ أَصْوَاتَهُمْ عِندَ رَسُولِ اللَّهِ أُولَٰئِكَ الَّذِينَ امْتَحَنَ اللَّهُ قُلُوبَهُمْ لِلتَّقْوَىٰ ۚ لَهُم مَّغْفِرَةٌ وَأَجْرٌ عَظِيمٌ

„Gewiss, diejenigen die ihre Stimme bei dem Gesandten Allahs dämpfen, das sind die, deren Herzen Gott auf  die Gottesfurcht geprüft (und vorbereitet) hat. Für sie wird es Vergebung und großartigen Lohn geben.“ (49: 3)

 

Im ersten Vers hieß es, dass die Gläubigen in keiner Angelegenheit dem Propheten vorausgehen dürfen. Sie sollen, solange er seinen Beschluss nicht bekannt gegeben hat, nichts unternehmen. Nun werden sie in dem Vers 2 darauf aufmerksam gemacht, dass sie den  Propheten auch im Gespräch nicht übertreffen und nicht  lauter als er sprechen sollen. Sie sollen vielmehr ihre Stimme in seiner Gegenwart dämpfen.

Am Inhalt dieses Verses ist zu sehen, dass einige Muslime nicht auf die guten Sitten achteten. Sie sprachen mit dem Propheten genauso laut wie mit jedem anderen und verhielten sich so unhöflich, dass Gott sie warnen musste, dieses unangemessene beleidigende Verhalten einzustellen, weil es die guten Werke vernichtet, ohne dass sie es merken.

Der Vers 3 hebt daraufhin hervor, dass Gott es im Diesseits und Jenseits belohnt, wenn die Gläubigen die guten Sitten und die Höflichkeit gegenüber dem Gesandten Gottes bewahren und in Gegenwart des Propheten verhalten sprechen.

 

Was wir uns merken können:

 

Erstens: Wir sollten immer auch auf unser Reden achten, denn jedes Tun, auch das Reden, ob schlecht oder gut, hat klare Folgen, ob wir nun diese Folgen gewahr werden oder nicht.

Zweitens: Es gibt Leute, die Bescheidenheit und Höflichkeit vortäuschen, aber in Wahrheit hochmütig sind. Mit anderen Worten: Höflichkeit und Bescheidenheit sind nur dann etwas wert, wenn sie auf Gottesehrfurcht und Aufrichtigkeit beruhen. Anderenfalls handelt es sich lediglich um Schmeichelei und Hinterlistigkeit.

Drittens: Der Glaube und die Gottesfürchtigkeit setzen nicht voraus, dass jemand überhaupt keine Sünde begeht. Es kann durchaus vorkommen, dass Gläubige und Gottesfürchtige sündigen. Allerdings  werden sie sich schnell ihres Fehlers bewusst, bereuen ihn aufrichtig und versuchen ihn wieder gut zu machen.

                      

 

Bevor wir für heute schließen, betrachten wir noch die Verse 4 und 5 der Sure 49 (Hudschurat):

Dort  heißt es:

 

 

إِنَّ الَّذِينَ يُنَادُونَكَ مِن وَرَاءِ الْحُجُرَاتِ أَكْثَرُهُمْ لَا يَعْقِلُونَ ‎

„Gewiss, diejenigen, die dich hinter den Gemächern (deines Hauses)  rufen, sind meist Menschen, die keinen Verstand haben.“ (49: 4)

 

وَلَوْ أَنَّهُمْ صَبَرُوا حَتَّىٰ تَخْرُجَ إِلَيْهِمْ لَكَانَ خَيْرًا لَّهُمْ ۚ وَاللَّهُ غَفُورٌ رَّحِيمٌ

„Wenn sie sich gedulden würden, bis du zu ihnen herauskommst, wäre es wahrlich besser für sie. Und Allah ist Allvergebend und Barmherzig.“ (49: 5) 

 

Dieser Vers verweist auf einer der Fälle von Unhöflichkeit. Einige verhielten sich rüpelhaft. Wenn sie sich in einer Sache an den Propheten wenden wollten, warteten sie nicht bis er selber aus dem Haus kam, sondern sie standen vor dem Haus und riefen ihn von draußen laut und stellten ihre Fragen und Bitten.

Der Koran tadelt sie und bezeichnet ein solches Benehmen als Zeichen dafür, dass sie keinen Verstand besitzen. Ein wichtiges Zeichen für Vernunft und Verstand ist die Beachtung der guten Sitten und Höflichkeit  in den mitmenschlichen Beziehungen und bei der Begegnung mit Persönlichkeiten der Gesellschaft.  

 

Wir sehen:

Erstens: Der Islam legt besonderen Wert auf gute Sitten, so sehr, dass er Unhöflichkeit als Zeichen dafür nennt, dass jemand keinen Verstand hat. 

Zweitens: Für das  Daheim und die Familie gilt eine Art Hoheitssphäre und keiner ist berechtigt diese zu stören, selbst nicht durch Rufe von außen.

Drittens:  Die Verantwortungen, die jemand gegenüber der Allgemeinheit trägt, dürfen ihn nicht davon abhalten, sich um die Familie zu kümmern.

Viertens: Wir müssen die Zeiten, in denen sich die anderen ausruhen möchten,  berücksichtigen und uns nicht zu unpassender Zeit bei ihnen melden.