Jul 22, 2023 11:09 CET

Wir begrüßen Sie wieder zu einer Geschichte und einem iranischen Sprichwort.

Im nordostiranischem Chorassan lebten einmal zwei Derwische. Sie waren so gute Freunde, dass die Leute sie mit zwei Mandelkernen in einer Schale verglichen. Dabei sahen sie sehr verschieden aus: Der eine war kräftig und beleibt und der andere dünn. Der beleibte Mann hatte immer Appetit und sein magerer Freund aß nur wenig. Letzerer schien nie Hunger zu haben, im Gegensatz zu Ersterem, den nichts zu sättigen vermochte.

Bei der Arbeit mühte sich der schlanke Derwisch nach besten Kräften ab, aber der andere mit seiner runden Figur war ziemlich faul und schlief die meiste Zeit.

Eines Tages ergab es sich, dass die beiden Derwische in eine andere Stadt gehen mussten. Bis dort war es ein weiter Weg. Als sie schließlich erschöpfte das Stadttor erreicht hatten, erwartete sie großer Ärger. Sie wurden nämlich verdächtigt, Spione des Feindes zu sein und in ein Haus eingesperrt. Dieses Haus war wie ein dunkler Kerker, denn alle Tür- und Fensteröffnungen hatte man mit einer Lehmschicht verschlossen und nur am Dach war eine kleine Luke für Licht und frische Luft. Der wohlbeleibte Derwisch war sehr hungrig und sein magerer Freund sehr durstig . Beide wunderten sich darüber, dass ihnen der Vorwurf der Spionage gemacht wurde. Der magere Derwisch sagte: „Hoffentlich geht es uns nicht an den Kragen!“ Aber sein Freund sagte: „Ach was! Die werden uns bald auf freien Fuß setzen, sobald sie merken dass wir unschuldig sind!“

Da hatte der magere Derwisch jedoch Bedenken und steckte schließlich seinen wohlbeleibten Kameraden damit an. Der sagte: „Vielleicht hast du recht. Wenn die Feinde absichtlich bezeugen, dass wir Spitzel sind, wer wird dann dafür Zeugnis ablegen, dass wir es nicht sind?“ „Niemand!“ stellte der magere Derwisch lakonisch fest. „Obwohl wir noch nicht einmal auf den Gedanken gekommen sind, Spionage zu betreiben, wird uns nun vorgeworfen, dass wir Spitzel sind. Wehe, wenn es nicht nur bei dem Vorwurf bleibt, und sie falsche Zeugnisse herbeibringen. Dann wird es bestimmt um uns geschehen sein!“

Die beiden armen Derwische, die nie im Leben spioniert hatten, saßen also in diesem düsteren Haus und waren ganz bekümmert. Sie wussten nicht was zu tun war. So sehr sie auch mit der Faust gegen die Wände hämmerten, damit man sie herausholt und ihnen zuhört: Niemand kam. So saßen sie schließlich nur noch still am Boden und warteten auf Rettung. Damit sie die Hoffnungslosigkeit nicht überfällt, machten sie sich gegenseitig irgendwie Mut und sagten sich:

„Ein Unschuldiger mag bis unter den Galgen gebracht werden, aber aufgehängt wird er nicht. Wer weiß was morgen kommt! Vielleicht wird morgen alles zu unseren Gunsten sein!“

So trösteten sich sich gegenseitig. Aber es war niemand da, der ihnen zuhörte.

Der dünne Derwisch sagte: „Wenn ich frei werde, mache ich mich schneller als der Wind aus dem Staub und schaue keine Sekunde hinter mich. Ich werde nie wieder in diese Stadt kommen!“

Der dicke Derwisch pflichtete ihm bei: „Ich auch nicht! Selbst dann nicht, wenn ich in dieser Stadt die herrlichsten Speisen umsonst zu essen bekäme!“

Nach zwei Wochen hatte sich herausgestellt, dass die beiden Derwische unschuldig sind und man öffnete ihr Verließ. Da fanden sie den einen tot vor. Nur der magere Derwisch war noch am Leben. Die Leute waren erstaunt, dass dieser nicht auch tot war und fragten sich: Wie hat es dieser dünne Mann geschafft, am Leben zu bleiben. Die beiden haben doch nur jeden zweiten Tag ein paar Stückchen trockenes Brot und einen Schluck Wasser zu trinken bekommen.

Der dünne Derwisch aber war traurig, dass sein Freund gestorben war, ohne dass man ihn von dem Vorwurf befreit hatte. Er wunderte sich, dass die Leute nur davon redeten, warum er noch am Leben war und sein Freund nicht mehr. Ihn wunderte es, dass es keinem darum ging, dass sein Freund unschuldig den Tod gefunden hatte. Auch ein Weiser, der in die Szene verfolgte verlor kein Wort darüber. Wohl sagte er den Leuten, ja dieser dicker Mann hat sehr viel gegessen und so konnte er keine Entbehrung ertragen und ist gestorben. Doch dieser dünne Mann hat sich immer mit wenig begnügt, hat wie immer Geduld gehabt und blieb am Leben.

Nach unserer heutigen Geschichte, die im Golestan von Saadi steht, kommt nun wieder eine iranische Redensart an die Reihe und zwar: Dachelemun chodemun ru koschteh wa birunemun mardom ru.

Ein Mann hatte einen großen Garten mit zahlreichen Obstbäumen. Er wohnte in diesem Garten in einem Haus, und hatte mehr als 100 Arbeiter. Jeder Außenstehende dachte: „Der hat es gut. Wie reich er ist und wie schön er wohnt!“ Seine Freunde und die Großeinkäufer sahen die Bäume entweder in Blüte stehen oder voller saftiger Früchte. Dieser Ort gefiel ihnen so gut, dass sie gerne das Angebot des Gärtners, dort zu übernachten, annahmen. Die Freunde des Gartenbesitzers sagten immer: „Du kannst dich freuen. Von morgens bis abends hast du Blüten und Bäume und Früchte vor Augen – Du hast hier deine Ruhe und bist fern vom Trubel der Stadt.“

Unterdessen klagte der Gartenbesitzer vergeblich darüber, wie schwierig es sei die Bäume zu pflegen und sagte: „Wenn es mal zu spät oder auch zu viel regnet , oder sich Sommer und Winter ein klein wenig verschieben, entstehen Schäden, die man nicht wieder gut machen kann.“

Aber soviel er auch redete, seine Freunde wollten davon nichts wissen. Da sagte der Gärtner sich, dass nur jemand, der aufs Meer hinausfährt, weiß, wie schlimm es ist, wenn ein Sturm aufkommt und Leute die nichts von Obstanbau verstehen, nichts von den Problemen dieser Arbeit ahnen.

Deshalb sagte er nicht viel dazu.

Nach einem kurzen Winter begannen die Bäume schon vor Frühlingbeginn Blüten zu tragen, doch im März kehrte plötzlich die Kälte zurück. Sturm, Regen und Hagel fielen über die Bäume her und warfen die Blüten zu Boden. Sogar die jungen Blätter riss das stürmische Wetter ab. In diesem Jahr trug keiner der Bäume Früchte und die Käufer in der Stadt warteten vergeblich auf eine Nachricht von ihrem Freund, dass sie das Obst bei ihm abholen sollen.

Da machten sie sich auf den Weg. Erstaunt sahen sie, dass alle Bäume in dem Garten kahl waren. Sie sahen von weitem den Gärtner in einer Ecke hocken. Er grübelte gerade darüber nach, wie er alle seine Arbeiter bezahlen sollte. Die Freunde kamen näher und fragten : „Was ist mit deinem schönen Garten passiert!“

Da erzählte ihnen der Gärtner, wie viel Mühe er sich gemacht hatte, damit der Garten den Winter gut übersteht und dass nun alle Mühe vergeblich gewesen war ebenso wie alle Ausgaben. Er rief: „Seht doch nur! Mein Garten raubt den anderen von außen den Atem und mir von innen.Wer meinen Garten von außen sieht, der beneidet mich sogar darum, aber dieser Garten macht Arbeit und Ärger und es kann mit ihm passieren, was ihr nun vor euch habt.“

Und so kommt es dass man in einer ähnlichen Situation wenn etwas nur nach außen hin wunderbar erscheint oder wenn jemanden einen anderen um etwas beneidet ohne die verborgenen Schwierigkeiten zu erkennen, sagt: Uns raubt es den Atem von innen und den anderen von außen.