Feb 13, 2017 10:18 CET

Liebe Freunde! Als Erstes setzen wir unsere Betrachtung der Fabeln insbesondere in der iranischen Volksliteratur fort.

Wir haben bereits über die Handlung, die Ausdrucksweise und die Länge dieser Art von volkstümlichen Erzählungen gesprochen.Ein weiteres strukturelles Merkmal von Fabeln ist der Dialog.

Dialog bedeutet „Rede und Gegenrede zwischen zwei oder mehreren Personen“. Dialoge können in jeder literarischen Form vorkommen, wie in Erzählungen, Bühnenstücken und Gedichten. Der Dialog ist besonders in den volkstümlichen Geschichten einer der wichtigsten Bestandteile.

Er kommt speziell in Fabeln oft vor. Die meisten Fabeln lassen sich sogar inhaltlich auf ihre Dialoge kürzen. Bei vielen Fabeln insbesondere bei denen aus Kalila wa Dimna und aus dem Marzban Nameh , wird innerhalb des Dialoges der Heldenfiguren auch über Randereignisse berichtet, d.h. die Hauptfiguren der Geschichte sprechen über diese Randereignisse und führen sie als Beispiel an.

Dialoge bilden den Hauptbestandteil von Fabeln. Wenn eine Fabel allegorischen Charakter hat, liegt dieses Merkmal sogar noch ausgeprägter vor. Dies rührt von daher, dass der Erzähler aus dem Munde seiner Heldenfiguren seine Ansichten ausdrücken muss und dies steigert sein Bedürfnis nach einem Dialog zwischen diesen Figuren.

 

In langen und kurzen Erzählungen auf Farsi ist manchmal der Dialog zwischen zwei Personen die Einleitung zu einer Handlung oder ruft eine Handlung hervor. Manchmal konfrontiert der Erzähler zwei Hauptfiguren der Fabel miteinander , die zwei gegensätzliche Ansichten vertreten. In Werken mit stark literarischem Charakter ist das Gespräch mit literarischen Kunstgriffen durchwoben. Auch beobachten wir in den Geschichten in Kalila wa Dimna und im Marzban Nameh eine gewählte Ausdrucksweise der Heldenfiguren. Bei den Dialogen in Fabeln fällt außerdem auf, dass alle Figuren auf dieselbe Art sprechen. Dies ist überhaupt typisch für volkstümliche Erzählungen.

Ein anderes Merkmal von Fabeln hat mit der Zusammensetzung und Reihenfolge der Ereignisse, die in einer Erzählung vorkommen zu tun. Wir beobachten, dass die Ereignisse in den Geschichten inhaltlich gewisse Ähnlichkeit aufweisen. Die meisten Geschichten drehen sich um ein natürliches feindliches Verhältnis zwischen den Figuren der Fabel. Es kommen daher bestimmte Handlungen vor, mit der normalerweise bei feindlichen Beziehungen zu rechnen ist. Begegnet ein schwächeres Tier einem stärkeren, so benutzt es meistens eine List, um sich zu wehren. Es kann sein, dass sich der Schwächere zur Gegenwehr einer Lüge bedient oder dem Feind verlockende Angebote macht. Oder aber er jagt ihm einen Schrecken ein. Ebenso ist es möglich, dass das schwächere Tier ein anderes starkes Tier um Hilfe bittet oder sich mit anderen Artgenossen gegen das starke Tier verbündet. Das alles sind Alternativen zur Verteidigung gegen den Feind.

Die Fabel beginnt meistens mit Beschreibung des Ortes, an dem sich die Geschichte abspielt oder der Darstellung der Hauptfigur der Geschichte. Daraufhin ist von der Schwierigkeit die Rede, dem sich der Held der Geschichte gegenübersieht und zu deren Überwindung er etwas unternehmen will. Manchmal besteht eine Erzählung fast nur aus der Beschreibung und Wiedergabe eines Dialoges und manchmal ist der Dialog auch nur so kurz wie eine Frage und eine Antwort. Nach diesem Gesichtspunkt lässt sich zwischen den Erzählungen trennen. In einigen Werken der bekannten Persischen Literatur, die Erzählungen und speziell Fabeln enthalten, beobachten wir, dass weniger auf die Ausschmückung der Geschichte geachtet wurde und das erzählerische Moment zu kurz kommt. Dies ist bei den Erzählungen im Bustan (Obst- und Fruchtgarten) und Golestan (Rosengarten) von Saadi, ebenso der Fall wie in den Masnawis von Attar und im Hadiqat al-Haqa'iq (Garten der Wahrheit)von Sanai. Denn es ging Dichtern wie diesen bei der Wiedergabe von Erzählungen vornehmlich darum, ihre eigenen Anschauungen zu verdeutlichen und deshalb haben sie den strukturellen Aufbau der Erzählung etwas vernachlässigt. Diese Erzählungen sind meistens nur kurz und unvollständig und oft ohne einen richtigen Ausgang.

Doch nun zu unserer Geschichte vom Raben und der Schlange.

 

Die Geschichte „Kalaagh wa Maar“ steht im Kalila wa Dimna und zwar lautet sie wie folgt:

In einem fernen Wald lebte auf einem Baum ein Rabe. Er war sehr betrübt. In der Nähe seines Nestes wohnte eine große hässliche Schlange. Immer wenn der Rabe ein Ei gelegt hatte und ein schönes Küken ausgeschlüpft war, wartete die Schlange ab, bis er auf der Suche nach Nahrung das Nest verlassen hatte. Dann kroch sie zum Nest hoch und verschlang das Rabenküken.

Der Rabe war ratlos und verzweifelt.

Als er wieder ein Küken hatte, trug er es im Schnabel zum Schakal, einem seiner Freunde, der ganz in der Nähe wohnte.

Der Schakal sah, wie niedergeschlagen der Rabe war und fragte ihn nach dem Grund. Der Rabe krächzte: „Eine hässliche und böse Schlange hat sich in meiner Nachbarschaft eingenistet. Seitdem sie weiß, dass mein Nest auf dem Baum ist, lässt sie mich nicht mehr in Frieden. Sie hat bislang alle meine Küken aufgefressen.“

Da sagte der Schakal: „Das Problem lässt sich doch leicht lösen! Such dir ein anderes Nest!“

Der Rabe sagte: „Ja ich glaube, es bleibt mir keine andere Wahl. Aber ich will es erst der bösen Schlange heimzahlen, dass sie meine Küken gefressen hat. Ich werde mit ihr kämpfen. Entweder ich sterbe oder ich bringe sie um.“

Der Schakal sagte zu seinem Freund, dem Raben: „Was du vorhast, ist unklug. Du bist wütend und hast dich im Zorn entschieden. Das Resultat wird ein Misserfolg sein. Denk erst gut nach! Du bist doch nicht so stark wie die Schlange. Sie kann dich ohne weiteres töten. Dann wirst du vernichtest und kannst nicht mehr für deine Kinder Vergeltung üben.“

Der Rabe sagte: „Ja, da hast du recht. Aber was kann ich denn tun?“

Der Schakal überlegte und ihm kam eine gute Idee. Er unterbreitete dem Raben seinen Vorschlag. Der Rabe freute und bedankte sich. Er ließ sein Küken beim Schakal zurück und flog davon.

Der Rabe flog in die Nähe des nächsten Dorfes. Er sah wie eine Frau im Hof eines Hauses im Wasserbecken Kleidung wäscht und ihren goldenen Fingerring auf den Beckenrand gelegt hatte. Da flog er aufs Dach des Hauses, um sich im geeigneten Moment den Ring zu holen. Als die Frau mit der Wäsche fertig war, begann sie eine andere Arbeit zu erledigen. Da schnappte sich der Rabe schnell den Ring und begann langsam davonzufliegen. Die Frau aber rief nach Hilfe und sofort kamen die Leute aus dem Dorf herbeigeeilt . Als sie erfuhren, dass der Rabe ihr den Goldring gestohlen hat, rannten die Männer mit Stöcken bewaffnet hinter dem Dieb her.

Der Rabe flog weiter und führte die Männer bis zum Nest der Schlange. Wie ihm der Schakal vorgeschlagen hatte, warf er den Ring vor das Schlangenloch. Die Schlange sah vom Nest aus den Ring und kam hervorgekrochen. Im gleichen Moment hatten auch die Männer den Ort erreicht und sahen den Ring neben der Schlange liegen . Sie schlugen mit ihren Stöcken auf die Schlange ein und einer tötete sie mit einem großen Steinbrocken. Als die Schlange tot war, nahmen die Männer den Ring und gingen.

Der Rabe aber hatte alles vom Baum aus beobachtet. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Schlange tot ist, flog er zum Schakal, bedankte sich bei ihm für den guten Rat und kehrte mit seinem Küken ins Nest zurück.