Feb 11, 2017 16:29 CET

Im letzten Beitrag haben wir über die besonderen Merkmale von Fabeln in Farsi-Literatur gesprochen. Mit Ausnahme der ursprünglichen Erzählungen bekannter Werke wie Kalila wa Dimna und Marzban- sowie Tuti-Nameh sind die meisten persischen Fabeln kurz.

Dies liegt an der geringen Zahl der Ereignisse in solchen Geschichten.  Aber auch wenn wir bei längeren Fabeln die literarische Ausmalung weglassen, haben wir erneut ein kurze Geschichte vor uns. Dass Fabeln kurz sind, hat ebenso damit zu tun, dass wenige Figuren auftreten.

Bei einer größeren Zahl von Charakteren und mehreren Heldenfiguren werden Geschichten normalerweise automatisch länger.

Gerade in der Kürze der Fabeln liegt ein Grund dafür , dass sie beliebt sind und universal verwendet werden. Durch ihre Kürze lässt sich leicht der Zusammenhang zwischen dem Beginn und dem Ausgang der Geschichte erkennen und die enthaltene  Botschaft verstehen.

Weil Fabeln kurz ist, prägen sie sich schnell ins Gedächtnis ein.  Sie sind wegen ihrer Kürze auch für Kinder geeignet, abgesehen davon dass sie  der kindlichen Phantasiewelt nahe kommen und deshalb schnell von ihnen verstanden werden.

Die Kürze von Fabeln bringt auch den Vorteil mit sich, dass sie überzeugend wirken.

In den meisten persischsprachigen Werken sind Geschichten in andere Geschichten eingebettet, insbesondere in dem Werk „Tausend und eine Nacht“.  Man vermutet, dass dieser Kunstgriff in der schriftlichen Prosa und Poesie vom Volksmund und den mündlichen Erzählern übernommen wurde. Bei der Methode der „Erzählung in einer Erzählung“, bleibt eine Geschichte die Haupterzählung und die Geschichten, die sie mit einschließt, sind die Nebenerzählungen. Dabei ist die eigentliche Geschichte manchmal eine Fabel und in diese Fabeln sind mehrere andere Geschichten, in denen Menschen und Tiere vorkommen, eingebettet. Diese Geschichten werden von den Tierfiguren der Fabel erzählt.  Manchmal ist es auch umgekehrt: Die Heldenfigur der Geschichte ist ein Mensch und er benutzt  Fabeln, um einen Gedanken hervorzuheben.

Weitere Ausführungen vertagen wir auf den nächsten Beitrag, denn nun folgt unsere Geschichte Kalagh wa Musch: Vom Raben und der Maus. Sie stammt aus Kalila wa Dimna.

Ein Rabe lebte in der Nähe einer Maus. Trotzdem Mäuse und Raben seit eh und je Feinde sind, hegte der Rabe den Wunsch eine Freundschaft mit der Maus zu schließen, denn er hatte oft erlebt, wie gut die Maus ihre Freunde behandelt und wie opferbereit sie ist.

Schließlich ging der Rabe eines Tages in die Nähe des Mauseloches und rief die Maus.  Die Maus im Mauseloch fragte: „Was möchtest du?“

Der Rabe erklärte: „Wir sind Nachbarn und könnten gute Freunde sein!“

Da sagte die Maus: „Ich habe noch nie von einer Freundschaft zwischen Mäusen und Raben gehört. Es heißt immer, dass sie Feinde sind.  Keiner darf seinen Freund so sehr lieben, dass er ihn vernichtet!“

Der Rabe: „Ja, ich weiß, dass Raben die Feinde der Mäuse sind. Aber weil mir eine Freundschaft mit dir viel wert ist, verspreche ich, dir niemals etwas anzutun.“

Kurzum: Maus und Rabe sprachen lange miteinander, bis die Maus schließlich davon überzeugt war, dass der Rabe es ehrlich meint. Da kroch sie aus ihrem Loch heraus und die beiden schlossen Freundschaft miteinander.

Eines Tages sagte der Rabe zur Maus: „Du, wir können hier nicht in Ruhe leben! Dauernd kommen Jäger in diese Gegend. Früher habe ich auf einer Wiese an einer Quelle zusammen mit meinem Freund, der Schildkröte gelebt. Es war eine schöne Gegend und es gab genug zu fressen. Wenn du einverstanden bist, lass uns dorthin gehen. Es wird dir dort gefallen.“ Die Maus willigte ein. Da trug der Rabe die Maus in einem kleinen Korb im Schnabel  durch die Luft, bis sie die Quelle erreichten, wo die Schildkröte lebte. Die Schikldkröte freute sich, als sie den Raben erblickte. Der Rabe erzählte ihr von der Freundschaft mit der Maus. Er berichtete davon, wie großzügig und opferbereit die Maus war. So saßen sie zusammen und plauderten, als plötzlich ein Reh von weitem auf sie zueilte.  Da dachten sie sofort, dass ein Jäger das Tier verfolgt. Rabe, Maus und Schildkröte stoben auseinander. Aber das Reh blieb an der Quelle stehen und trank  in Ruhe Wasser. Anscheinend war doch keine Jäger hinter ihm her gewesen.

Die Schildkröte fragte das Reh: „Wo kommst du her? Warum hast du solche Angst?“

Das Reh:“Ich komme von einer Wiese, die nicht weit entfernt von hier ist. Heute habe ich in der Ferne eine dunkle Gestalt gesehen. Ich dachte, es ist ein Feind und deshalb hab ich die Flucht ergriffen.“

Die Schildkröte sagte: „ du bist ein ruhiges Tier und tust niemandem etwas zuleide. Wir drei sind gute Freunde und leben hier. Du kannst auch unser Freund sein, wenn du möchtest.“

Das Reh war einverstanden.

Nun waren sie also zu viert und hatten eine schöne Zeit. Jeden Tag saßen sie zusammen und unterhielten sich.

Als  sich der Rabe, die Schildkröte und die Maus wieder eines Morgens umeinander versammelten hatten, warteten sie vergeblich auf das Reh. Es kam nicht und sie gerieten in Sorge. Da baten die Maus und die Schildkröte den Raben, er soll aus der Luft  die Gegend nach dem Reh absuchen. Der Rabe flog davon. Er kehrte nach einiger Zeit zurück und berichtete:

„Das Reh ist einem Jäger ins Fangnetz geraten!“

Da sagte die Schildkröte zur Maus: „Wir müssen sofort etwas für unseren Freund tun. Beeil dich und rette das Reh!“

Die Maus  rannte zu der Jägerfalle und begann das Netz, in dem das Reh gefangen war, zu zernagen. Auch die Schildkröte fand sich an der Stelle ein.  Das Reh sagte zur Schildkröte:  „Lieber Freund! Du hättest nicht kommen sollen. Wir müssen fliehen, aber du kannst nicht so schnell laufen!“

„Ach“ rief die Schildkröte“, ich wollte dir meine Freundschaft beweisen und an deiner Seite sein, wenn du in Gefahr bist.“

Die drei anderen Freunde sagten der Schildkröte, dass sie so schnell wie möglich weglaufen solle und ergriffen selber die Flucht. Schon wenige Augenblicke später kam der Jäger herbei und sah, dass das Fangnetz zerrissen und seine Beute geflohen war.

Der Jäger blickte um sich. Doch es war niemand zu sehen. Er wunderte sich, wie sich seine Beute befreien konnte. Schließlich  nahm er das Netz und wollte gehen, als sein Blick auf die Schildkröte fiel. Da dachte er bei sich: Eine Schildkröte ist zwar nicht viel wert, aber besser als gar nichts.

So steckte er die Schildkröte  in seinen Beutel. Er schnürte den Beutel gut zu  und machte sich auf den Weg.

Rabe, Maus und Reh  suchten gemeinsam überall nach der Schildkröte, bis sie schließlich feststellten, dass der Jäger sie mitgenommen hat.

Das Reh sagte traurig: „Ich bin schuld! Die Schildkröte ist wegen mir in die Hände des Jägers gefallen. Wir können nichts für sie tun!“

Der Rabe rief: „Wieso können wir nichts tun? Wenn wir zusammenhalten und bereit sind Opfer zu bringen, lässt sich immer etwas machen!“ „Ja , was denn?“ fragte das Reh.

Der Rabe sagt: „Hört her! Du, liebes Reh solltest dich auf dem Weg des Jägers ausstrecken . Ich werde mich auf dich stürzen und so tun, als wollte ich dir in die Augen stechen. Der Jäger wird uns erblicken. Dann springst du plötzlich auf und humpelst weg und der Jäger denkt, du kannst nicht schnell laufen und rennt hinter dir her. Wenn er in deiner Nähe ist, dann fängst du an zu rennen. Da wird der Jäger seinen Beutel ablegen, damit er schneller laufen kann. Die Maus kann dann schnell ein Loch nagen, damit unser Freund, die Schildkröte, flieht.

Und dann suchen wir alle das Weite.“

Maus, Rabe und Reh führten ihren Plan durch und retteten die Schildkröte.

Nach diesem Abenteuer lebten die vier  noch lange als gute Freunde zusammen und halfen sich immer wieder gegenseitig, wenn einer in Gefahr geraten war.