Jan 05, 2017 18:38 CET

Die Schildkröte hat sich unter ihr Schild verkrochen und der Krebs hörte sie klagen.

Er klopfte ihr auf den Rücken und fragte: „Grüß dich Nachbarin? Bist du wach?“

Die Schildkröte streckte den Kopf hervor und antwortete: „Grüß dich. Ja ich bin wach, aber ich wünschte all mein Unglück wäre nur ein böser Traum.“ Der Krebs fragte: „Was ist denn passiert? Erzähl es mir, liebe Nachbarin!“ Die Schildkröte klagte: „Diese schreckliche Schlange treibt mich in den Wahnsinn. Sie hat alle meine Eier aufgefressen und ich konnte nichts dagegen tun!“

Der Krebs tröstete sie, sagte aber dann: „Durch Wehklagen werden deine Kinderchen nicht wieder lebendig. Ich werde dir zeigen, wie du für immer diese verfluchte Schlange loswirst.“

Und dann erklärte er der Schildkröte, was sie machen soll:

Der Krebs sagte: „Ganz hier in der Nähe gibt es einen Marder. Marder sind die Feinde der Schlangen und mögen Fisch für ihr Leben gern. Du fängst ein paar Fische und gehst zum Marderbau da hinter dem großen Hügel. Dann legst du die Fische hintereinander auf die Erde, bis du beim Schlangenloch angelangt bist. Der Marder wird sie auffressen, am Schlangenloch angelangen und die Schlange töten. Dann hast du deine Ruhe.“

Die Schildkröte bedankte sich bei dem Krebs. Rasch fing sie ein paar Fische und kroch zum Haus des Marders. Dort begann sie die Fische schön hinter einander auf die Erde zu legen bis sie beim Schlupfloch der Schlange angelangt war. Dann versteckte sie sich.

Der Marder war von dem Fischgeruch aufgewacht, lugte aus seinem Bau hervor und entdeckte den ersten Leckerbissen. Kaum hatte er diesen verschlungen, fiel sein Blick auf den zweiten, dann den dritten usw. Er fraß alle Fische auf und stand schließlich vor dem Unterschlupf der Schlange. Da wollte er auch den letzten Fisch verputzen, als die Schlange aus ihrem Loch herauskam. Der Marder machte erst der Schlange den Garaus und dann ließ er sich auch noch den letzten Fisch schmecken.

Die Schildkröte sah erfreut die tote Schlange , ging zu der Stelle wo sie ihre neuen Eier vergraben hatte und grub sie wieder aus. Das Leben schien wieder rosig zu sein. 

Am nächsten Morgen kroch der Marder in Hoffnung auf neue Fische wieder aus seinem Bau heraus. Aber so etwas! Weit und breit war kein einziger Fisch zu sehen. Er lief die Strecke wie am Vortag ab bis er beim Schlangenloch eintraf: Doch keine Spur von einem Fisch. Da fiel sein Blick auf einen anderen Leckerbissen namens Schildkröteneier. Kaum hatte die Schildkröte begriffen, was vor sich ging, sah sie den Marder auf ihre Eier zulaufen. Auch sie setzte sich in Richtung ihres Nachwuchses in Bewegung. Aber der Marder war viel schneller und verschlang alle angehenden Schildkrötenbabies. So war die Schildkröte vom Regen in die Traufe gekommen, oder wie man auf Persisch sagt: Aus der Grube rausgekommen und in den Brunnen gefallen. Nun wusste sie, dass sie diesen Ort endlich verlassen musste. Der Marder würde in Zukunft wissen, wo sie ihre Eier legt.

Ja sie musste gehen, aber vorher hatte sie noch etwas mit dem Krebs zu klären.

Nach dieser Geschichte aus Kalileh wa Demneh, nun wieder ein Sprichwort. Es lautet Nah Chani Amadeh, nah Chani rafteh

Einst wollte jemand gerne wie die Feudalherren – die Khane – leben. Aber er war ein armer Schlucker. Eines Tages ging er in die Stadt auf den Markt. Dort verkaufte er seine Ware und wollte zurückkehren, als er an einem Obstladen vorbei kam. Der Obsthändler hatte saftige Honigmelonen ausgelegt und unser Freund wünschte, er hätte mehr Geld und könnte sich eine davon kaufen. Er dachte aber: „Ich muss etwas kaufen, was wirklich satt macht!“ – So ging er an den duftenden Honigmelonen vorbei. Doch ein paar Schritte weiter blieb er stehen, und kehrte dann zurück.

Der Mann hatte sich eine Honigmelone gekauft und saß nun unter einen schattigen Baum. Liebevoll schnitt er Honigmelone in Scheibe und begann sie zu genießen. Dabei dachte er: Ich werde die Schale nicht ganz ausschaben und liegen lassen, damit jeder der vorbei kommt beim Anblick der halben Reste dieses teuren Obstes denkt, hier hat ein Khan Honigmelone gegessen. Als er nun die Honigmelone gegessen hatte und wie ein Khan den Ort verlassen wollte, spürte er noch immer Appetit auf Melone.

Da sagte er sich: Ich werde doch die Schale ausschaben . Ich lass dann die Schalenreste und Kerne liegen. Die Leute werden vorbeikommen und denken, hier hat ein Khan Melone gegessen und seinem Diener die Schale gegeben und der hat sie ausgeschabt.

Doch auch nach dem Ausschaben der Schale war der gute Mann nicht satt. So kam er auf den Gedanken auch die Schale zu essen und nur die Kerne liegen zu lassen. Dabei sagte er sich: „Das reicht doch auch: Jeder der vorbeikommt wird denken, hier hat ein reicher Khan gesessen, Er hat Honigmelone gegessen, der Diener hat die Schalen ausgeschabt und sein Esel hat den Rest verspeist. Das muss ein bedeutender Khan gewesen sein. Der hatte sowohl einen Diener als auch einen Esel!

Schließlich bekam dieser Möchte-gern-Khan auch Appetit auf die Kerne. Aber er sagte sich: Die Kerne darf ich nicht essen. Was sollen die Leute denken? Die sagen doch, das war ein Khan, der noch nicht einmal auf die Melonenkerne verzichtet hat.

So überwand er sich und brach auf. Unterwegs wurde er ganz stolz darauf, dass er die Melonenkerne nicht gegessen hatte und das gab ihm Auftrieb. Er fühlt sich plötzlich wie ein Khan, der würdigen Schrittes voran geht. Aber warum sollte er eigentlich zu Fuß gehen. Er hatte doch den Esel, der die Melonenschale gegessen hatte. Also bestieg er in Gedanken den Esel. Doch sein schöner Traum war schnell ausgeträumt. Der Gedanke an die verschwendeten Melonenkerne ließ ihn nicht los. Schnell kehrte er zurück und verspeiste sie mit Heißhunger. Dann dachte er mit Erleichterung: „Nun ist es , als ob hier nie ein Khan vorbeigekommen wäre. Nah Chani Amadeh , nah chani rafteh!“

Dieses Sprichwort bedeutet wörtlich: Kein Khan ist gekommen und kein Khan ist gegangen.

Wenn jemand dies sagt, so hat er etwas versprochen und kann es nicht einhalten und will damit sagen: Lasst mich in Ruhe!